Mittwoch, 16. Juni 2010

Ein Tag im Nationalrat

Die Sessionsvorsitzende erteilt dem Redner das Wort. Gespannt sitze ich oben auf der Tribüne und sehe dem Spektakel zu. Unter dem Rascheln von tausenden Blättern Papier, einem lauten Gesprächswirrwarr und zahlrechen leisen, spitzen Mausklicks baut sich ein voluminöser Mann hinter dem Rednerpult auf.

Er öffnet den Mund, setzt an und...

nichts...

Man versteht kein einziges Wort, denn weder das raschelnde Papier noch die Gespräche verstummen. Im Gegenteil. Die Lautstärke der sprechenden Leute wird sogar noch erhöht um den Redner zu übertönen.

Das muss sie wohl sein, diese tolle Konkordanz, dieses gemeinsame Arbeiten an Gesetzen, diese Diskussion.

Ich bin enttäuscht.

Meine Erwartungen waren, einen vollen Saal zu sehen, der interessiert einem rethorisch begabten Redner lauscht und anschliessend hitzig debattiert. Was ich gesehen habe waren ein halb voller Saal, der überwiegend aus Zeitungslesern und Tratschtanten bestand, sowie einer inkonsequenten Vorsitzenden und einigen stummen Rednern.

Da frage ich mich wirklich ob die Politik mir das bieten kann, was ich will. Den Meinungsaustausch und den Konsens mit Menschen. Interessante Diskussionen, viele Blickwinkel, offene Ratsmitglieder. Dem schien heute nicht so zu sein.

Ich hoffe sehr irgendwann einmal auch eine andere Seite sehen zu können. Oder zumindest zu sehen, dass sich Politiker zuhören.

Dass Politiker offener werden.

Das die Menschen offener werden.

Denn erschreckend viele bezeichnen sich als freisinnig oder liberal oder freidenkerisch, obwohl sie es nicht sind.

Wer einem Redner nicht zuhört, aber trotzdem im Publikum sitzt ist nicht offen.
Wer die Debatte nicht mithört und danach nach Parteiwillen abstimmt ist kein Freidenker.
Wer nichts hinterfragt und sich keine Gedanken macht ist nicht interessiert.

Ich weiss nicht woran es lag, dass die Politiker heute ein derart verwerfliches Verhalten an den Tag legten. Es ist mir auch egal. Aber ob Freidenker oder nicht. Es ist schlussendlich eine Frage des Respekts, wie man sich während einer Rede verhält und eine Frage der Moral, wie man sich vor einer Abstimmung informiert. Und wenn eine Primarschulklasse sich disziplinierter verhält als die Regierung eines so reichen und fortschrittlichen Landes, so müsste sich wohl manch ein Politiker mal fragen ob er den richtigen Beruf gewählt hat.

Denn bei einem demokratischen System geht es darum einen Konsens zu finden, der für die Mehrheit des Volkes vertretbar ist, und wenn nötig das Volk über Probleme von bestimmten Entscheiden Aufzuklären, anstatt bloss zu bevormunden und der Gegenseite das wort im Mund umzudrehen.

Ich denke, viele Politische Meinungen der einzelnen Parteien gehen gar nicht so weit auseinander wie die Politiker dieser Parteien denken. Oft ist nur ein Mangel an Konversation oder das generelle Misstrauen gegenüber anderen Ansichten der Grund für die Differenzen der Parteien. Und ich finde es schade, dass so viele wichtige Leute das noch immer nicht kapiert haben.

(Das Phänomen "Misstrauen und Konversationsmangel" ist überdies auch in der Gesellschaft anzutreffen. Ich denke aber, aufgrund der vielen Paralellen von normal Sterblichen zu Politikern, nicht weiter darauf eingehen zu müssen..)

Bleibt mir nur noch euch einen schönen Abend zu wünschen und an euren Verstand zu appellieren, BENUTZT IHN!!! ;-)

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